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Als der Reformator Johannes Calvin 1553 den Gelehrten Michael Servetus als Ketzer verbrennen ließ, war der Humanist Sebastian Castellio – einst ein Mitarbeiter des Reformators – fassungslos. Castellio verurteilte Calvin in seinen Schriften und rief die Christen zu mehr Toleranz auf.

(Dieser Text ist erstmals erschienen in Heft 10/2015 von „DAMALS – Das Magazin für Geschichte“, www.damals.de)

Sebastian Castellio, dessen 500. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, war ein Mann vom Geist des Erasmus: christlicher Humanist, Philologe, Pädagoge, Theologe; vor allem Kämpfer für religiöse Toleranz. Seine pädagogischen Schriften und seine lateinische Bibelübersetzung wurden bis ins 18. Jahrhundert nachgedruckt und für den Latein- und Religionsunterricht in vielen Ländern Europas verwendet. Seine Argumente für Religions- und Gewissensfreiheit sind gerade heute aktuell. Trotzdem ist dieser Mann in Deutschland noch weithin unbekannt. Dabei schrieben der französische Friedensnobelpreisträgers Ferdinand Buisson und der Schweizer Historiker Hans R. Guggisberg seine Biographie; und seine Kontroverse gegen Johannes Calvin wurde vor allem durch Stefan Zweigs Roman „Ein Gewissen gegen die Gewalt“ bekannt – das Buch wurde in viele Sprachen übersetzt und allein in Deutschland 100 000mal verkauft.

 

Über Castellios Jugendzeit wissen wir wenig. Wir kennen nicht einmal das genaue Datum seiner Geburt, lediglich das Geburtsjahr 1515. Er wurde in Saint-Martin-du-Fresne (Herzogtum Savoyen) geboren. Seine Eltern waren einfache, rechtschaffene Bauersleute, die ihm keine große Bildung, wohl aber eine fromme Lebensführung und das Empfinden für Gerechtigkeit vermittelten. Saint-Martin- du-Fresne liegt heute im französischen Departement Ain, auf halber Strecke zwischen Lyon und Genf. Beide Städte haben das Leben des jungen Mannes geprägt. In Lyon, einem Schnittpunkt französischer und italienischer Kultur, empfing er die Grundlagen humanistischer Bildung. Hier wurde er zum klassischen Philologen; hier hat er, wohl im Januar 1540, die ersten „Ketzerverbrennungen“ evangelischer Christen miterlebt.

In Lyon wird Castellio auch Jean Calvins erste „Institutio“ gelesen haben, die 1536 in Basel erschienen war. Jedenfalls verließ er Lyon im Frühjahr 1540 und ging nach Straßburg, wo Calvin nach seiner Vertreibung aus Genf bis 1541 lebte. Es muss sich eine gute Beziehung zwischen beiden Männern entwickelt haben. Castellio wohnte für kurze Zeit sogar im Haus Calvins; und bevor dieser nach Genf zurückkehrte, vertraute er dem erst 26-Jährigen die Leitung der Genfer Schule an, der innerhalb der Kirchenordnung eine besondere Bedeutung für den Aufbau eines evangelischen Gemeinwesens und für die Ausbildung des theologischen Nachwuchses zufiel.

Doch in Genf traten bald Meinungsverschiedenheiten auf, da Calvin die Druckerlaubnis für Castellios französische Übersetzung des Neuen Testaments verweigerte. Sie verschärften sich noch, als dieser zur Verbesserung seiner finanziellen Lage um ein Predigtamt bat und in diesem Zusammenhang dem kanonischen Charakter des Hohenliedes und Calvins Auslegung der Höllenfahrt Christi widersprach. Hier zeigt sich bereits Castellios Geist des Zweifelns und Hinterfragens, der in seiner späteren Schrift, dem „De arte dubitandi“, deutlich hervortritt.

Es war ein Geist, den Calvin für den Aufbau eines evangelischen Genf nicht gebrauchen konnte. Deshalb lehnte er Castellio „wegen ketzerischer Anwandlungen“ für ein Kirchenamt ab. Zum endgültigen Bruch kam es 1544 auf einer Pfarrversammlung, als Castellio die Bibelauslegung Calvins unterbrach und heftige Kritik an der Amtsführung und dem Lebenswandel der Genfer Geistlichen übte. Castellio musste Genf verlassen. Er ging nach Basel, wo er von 1545 bis 1563 lebte und im Alter von 48 Jahren starb.

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