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Voraussetzungen: die Basler Reformation

Welche kulturellen Modelle prägten die Geschichte des europäischen sechzehnten Jahrhunderts und die Reformationsgeschichte? Und vor allem: Welche Denkansätze wurden vor fünfhundert Jahren ausgearbeitet, um die reformatorische Forderung der freien und individuellen Suche nach der (göttlichen) Wahrheit auszudrücken, ohne dabei dem religiösen Fanatismus zu verfallen, der das Europa des 16. und 17. Jahrhunderts zerreißen würde? Welche kulturellen Mittel wurden eingesetzt, um verschiedene Konfessionen und Weltanschauungen zu einem friedlichen Zusammenleben und zu einem fruchtbaren Austausch anzuregen? Ich beginne mit diesen Fragen, die auch heute noch relevant sind, denn sie erlauben es, von vornherein den besonderen Beitrag der Stadt Basel und ihrer kulturellen Vielfalt im sechzehnten Jahrhundert zu definieren.

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Wenn man Basel in der Geschichte des europäischen sechzehnten Jahrhunderts verortet, muss man nicht zuletzt seine außergewöhnliche Buchindustrie und deren Protagonisten hervorheben. Sie machten die Stadt zu einem internationalen kulturellen Zentrum. In engem Zusammenhang mit diesen wirtschaftlichen Unternehmen, zu denen unter anderem die große Druckerei Froben aber auch kleinere Druckwerkstätten wie die von Pietro Perna oder Johannes Oporinus gehörten, ist die Herausbildung eines von Erasmus von Rotterdam initiierten kulturellen Paradigmas zu beachten. Dieses Paradigma wirkte auch, nachdem sich in Basel 1529 der Durchbruch der Reformation unter Erasmus' ehemaligem Mitarbeiter Johannes Oekolampad abzeichnete, und trug dazu bei, die Ideen des Humanismus mit denen der Reformation im Laufe des Jahrhunderts immer wieder in Einklang zu bringen. Diese Besonderheit der kulturellen Basler Welt kommt dabei in einer tiefgreifenden Weise in der Geschichte der Toleranz zum Ausdruck. In der Mitte des Cinquecento, als die Entstehung der neuen konfessionellen Identitäten systematischer und radikaler wurde, wurde in Basel das erasmianische Erbe wieder aufgegriffen und als Alternative zur entstehenden Orthodoxie in gewisser Hinsicht radikalisiert.

Die Rolle Basels ist in der Toleranzgeschichte des europäischen 16. Jahrhunderts im Wesentlichen mit dem Namen Sebastian Castellio verbunden: Die von ihm herausgegebene De haereticis an sint persequendi gilt nach wie vor als das erste Manifest der modernen Toleranz gegen den wachsenden Konfessionalismus der damaligen Zeit. In der europäischen Kulturgeschichte markieren alle seine Schriften einen Wendepunkt: Es ging mit Castellio um eine Toleranz, die nicht mehr im mittelalterlichen Sinne eine Konzession von oben, eine Duldung der Abweichung von den geltenden Normen seitens einer absoluten Macht bedeutete. Vielmehr wurde Toleranz als konstitutives Existenzprinzip, als ein natürlicher Prozess der menschlichen Begegnung, ja sogar als konstitutives Element der Beziehung zwischen Mensch und Gott verstanden.

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Begriffe wie der der Toleranz sind jedoch historische Produkte und können nur im Verhältnis zu anderen Begriffen und Konzepten des damaligen Diskurses definiert werden. Der Toleranzdiskurs Castellios sollte daher nicht isoliert und mit Maßstäben der „Modernität“ oder „Innovation“ bemessen werden. Entscheidend sind stattdessen die Grundideen und konzeptionellen Instrumenta des 16. Jahrhunderts, auf die Castellio zurückgreifen konnte, um seine Argumente und Konzepte auszuformulieren und einen alternativen Toleranzdiskurs anzustoßen.

In meinem Vortrag möchte ich also die konzeptuelle Umgestaltung des Toleranzdiskurses herausarbeiten, die in Basel in der Mitte des 16 Jahrhunderts bewirkt hat. Mir geht es darum, Castellio nicht schwarzweiß in Opposition zur reformierten Orthodoxie (schon gar nicht im Sinne einer Opposition zwischen „modern“ und „reaktionär“) zu definieren, sondern Castellio als einen aktiven Protagonisten einer theologischen Konfrontation sowohl mit den Orthodoxen als auch mit den Heterodoxen, den italienischen "Spiritualisten" darzustellen. Statt den interkulturellen Austausch und die Verbreitung seiner Schriften in und über Basel hinaus zu rekonstruieren (dies wurde bereits von Werner Kaegi, Hans Rudolf Guggisberg und Uwe Plath u.ä. auf ausgezeichnete Weise geleistet), will ich Castellios Toleranzlehre breiter erörtern. 1) Nach einer kurzen historischen Einführung, werde ich darum schrittweise die 2) anthropologischen, 3) soteriologischen und schließlich 4) gnoseologischen Voraussetzungen von Castellios Toleranzlehre kurz erläuterm, um zu zeigen, wie sie in einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen der humanistischen Tradition und dem Impuls der Reformation standen.

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