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Die Toleranz-Kontroverse gegen Johannes Calvin

Ein erster Appell Castellios für religiöse Toleranz findet sich in seinem an Eduard VI. gerichteten Vorwort zur lateinischen Bibelübersetzung (1551). Wohl vor dem Hintergrund des Interims, das den Protestantismus in Deutschland bedrohte, und der damaligen Glaubensverfolgungen in Italien und Frankreich spricht er der weltlichen Obrigkeit das Recht ab, über Glaubensfragen zu urteilen, und ruft, indem er sich auf das Neue Testament bezieht, zu Toleranz und Nächstenliebe auf.

Berühmt wurde Castellio durch den „Fall Servet“. Im August des Jahres 1553 ließ Calvin den Spanier Michel Servet beim Besuch des Gottesdienstes in Genf verhaften. Servet wurde wegen seiner Kritik an der traditionellen Trinitätslehre lebendig verbrannt. Bereits die Nachricht von der Verhaftung löste im Basler Humanistenkreis heftige Empörung aus: „Dieses Geschehen hat viele fromme Menschen entsetzt und den Skandal der Skandale ausgelöst, der wohl kaum jemals in Vergessenheit geraten wird“, so heißt es in dem „Bericht über den Tod Servets“ („Historia de morte Serveti“), als dessen Verfasser Castellio gilt. In der Schrift wird begründet, warum das Entsetzen so groß war: Weil Servet wegen seiner Religion und mit Hilfe Calvins auf so grausame Weise getötet worden sei; weil sich dabei die Evangelischen mit den Katholiken verbündet hätten; weil Calvin die Bücher Servets habe verbrennen lassen; weil der Glaube frei sein müsse.

Castellio war der Wortführer dieser Kritik, die weiter verbreitet war, als man früher angenommen hat. Sie zeigt sich in mündlichen Äußerungen, in Briefen und Gedichten; und zwar nicht nur in Basel, sondern auch in Genf, in Bern, in den Berner Territorien, in Frankreich, Italien und dem württembergischen Montbéliard. Sie war so heftig, dass sich Calvin durch die „Defensio orthodoxae fidei“ („Verteidigung des rechten Glaubens“, 1554) zur Rechtfertigung seines Verhaltens veranlasst sah. Darin dokumentiert er die „Irrlehren“ Servets und versucht zu beweisen, dass die weltliche Obrigkeit Ketzer verfolgen müsse. Als Beweis dient ihm besonders das Alte Testament, etwa der Vers Deuteronomium 13, 6, wo Gott ausdrücklich befehle, denjenigen zu töten, der das Volk Israel vom wahren Glauben abbringen wolle.

 

Calvins Aussagen standen in deutlichem Gegensatz zu einem Büchlein, das etwa zur selben Zeit mit dem Titel „Ob Ketzer verfolgt werden dürfen“(„De haereticis an sint persequendi“) in Basel erschien. Es wird eingeleitet durch das Vorwort eines Martin Bellius an Herzog Christoph von Württemberg und abgeschlossen durch die Beiträge eines Georg Kleinberg und Basilius Montfort; Namen, hinter denen sich nachweisbar bzw. höchstwahrscheinlich Sebastian Castellio verbirgt.

Die Mitte des Buches bilden Texte der Kirchenväter Augustin, Laktanz, Hieronymus und Chrysostomus und anderer Autoritäten der Kirchen- und Reformationsgeschichte, die sich alle dagegen aussprechen, Ketzer zu verfolgen und zu töten. Zitiert werden nicht nur Luther, Erasmus,

 

Johannes Brenz oder Urbanus Rhegius, sondern auch Castellio und Calvin; dieser mit einem Auszug aus seiner ersten „Institutio“ von 1536, wo er Milde und Humanität gegenüber Exkommunizierten, Türken, Sarazenen und anderen Feinden der Religion fordert.

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